Wann braucht es eine Standardisierung der vorliegenden Indikatoren?
Wie oft kommt eine bestimmte Krankheit vor? Wie hoch ist die Hospitalisierungsrate? Was sind die Kosten für das Gesundheitssystem? Viele Indikatoren im Bereich Gesundheit und Gesundheitswesen sind nur aussagekräftig im Vergleich, wenn man weiss, wie gross die Bevölkerung ist, auf die sie sich beziehen. Daher werden Raten berechnet, die die Zahlen pro 1000 oder 100 000 Einwohnerinnen und Einwohner (rohe Raten) darstellen.
Neben der reinen Bevölkerungszahl spielen zusätzlich strukturelle Merkmale der Bevölkerung eine Rolle. Im Vordergrund stehen dabei Alter und Geschlecht. So ist beispielsweise zu erwarten, dass bei einer sehr alten Bevölkerung bestimmte Krankheiten öfter vorkommen und die Hospitalisierungsrate sowie die Kosten des Gesundheitssystems höher sind. Oder man sieht bei Frauen in gebärfähigem Alter deutlich mehr Krankenhausaufenthalte als bei gleichaltrigen Männern.
Grosse Unterschiede in den demographischen Merkmalen einer Bevölkerung sieht man vor allem im globalen Kontext. Doch auch zwischen den Schweizer Kantonen gibt es Unterschiede. So war die Bevölkerung 2019 im Kanton Tessin mit 23% 65-Jährigen und älteren Personen zum Beispiel deutlich älter als diejenige im Kanton Freiburg (16% 65+-Jährige). Eine Bevölkerung einer bestimmten Region kann sich zudem auch über die Zeit strukturell verändern.
Werden strukturelle Unterschiede nicht berücksichtigt, kann dies zu verzerrten Schlussfolgerungen führen, was durch eine Standardisierung vermieden werden kann. Die Standardisierung ist eine Berechnung, die Vergleiche strukturell unterschiedlicher Bevölkerungen (z.B. örtlich oder zeitlich) ermöglicht. Mit der Standardisierung geht gleichzeitig der einfache, intuitive Zugriff auf die effektiven Zahlen verloren.
Mit einer Standardisierung vermindert sich beispielsweise die Mortalitätsrate des Kantons Tessin im Jahr 2018 von 892 auf 738 Todesfälle pro 100 000 Einwohnerinnen und Einwohner. Im Kanton Freiburg führt die Standardisierung zu einer Erhöhung der Rate von 646 auf 814 Todesfälle pro 100 000 Personen der Bevölkerung. Die höhere rohe (nicht-standardisierte) Rate im Tessin erklärt sich durch die ältere Bevölkerung verglichen mit Freiburg. Wenn beiden Bevölkerungsgruppen dieselbe demografische Struktur zugrunde gelegt wird (hier die europäische Standardbevölkerung 2010), zeigt sich im Vergleich eine geringere Mortalität im Tessin.
Wie werden die Indikatoren beim Obsan standardisiert?
Die Standardisierung wird nach der direkten Methode vorgenommen. Dies bedeutet, dass gruppenspezifische Raten (nach Alter und Geschlecht) berechnet und gewichtet werden, so dass sie an die Bevölkerungsstruktur einer theoretischen Standardbevölkerung angepasst sind. Die Resultate sind vergleichbar mit den Resultaten anderer Bevölkerungen, jedoch sind die umgerechneten Resultate ohne direkten (intuitiven) Bezug zur Anzahl Fälle.
Formel für die Berechnung der alters- und geschlechtsstandardisierten Raten (R):
R : Alters- und geschlechtsstandardisierte Rate
Nij : Zahl der Personen in der Altersgruppe i und Geschlecht j in der Standardbevölkerung
rij : Alters- und geschlechtsspezifische rohe Rate der untersuchten Bevölkerung
Als Standardbevölkerung wird die europäische Standardpopulation 2010 (Eurostat, 2013) verwendet.
Das Vertrauensintervall, das ebenfalls gezeigt wird, ist ein Mass für die Präzision der Schätzung. Es definiert die Grenzen, innerhalb derer der wahre Wert mit einer Wahrscheinlichkeit von 95% zu finden ist. Der Standardfehler und die 95%-Vertrauensintervalle werden basierend auf einer Gamma-Approximation der Varianz der Rate berechnet (Tiwari et al., 2006).
Wo sind die rohen Raten zu finden?
Die rohen Raten werden zwar nicht in den Grafiken gezeigt, doch sind sie in den Datentabellen zu finden, die mit einem Klick auf den entsprechenden Button geöffnet werden können.
Referenzen
- Eurostat (2013). Revision of the European Standard Population — Report of Eurostat's task force. Luxembourg: Publications Office of the European Union: Bericht (englisch).
- Tiwari, R. C., Clegg, L. X., & Zou, Z. (2006). Efficient interval estimation for age-adjusted cancer rates. Statistical methods in medical research, 15(6), 547-569: Publikation (englisch).